Geschichten aus dem Hospizdienst

 

Jeden Monat berichten Ehrenamtliche für Ehrenamtliche über ihre Begleitungen in einem Newsletter des Ambulanten Hospizdienstes. Dieser entstand in der Corona Pandemie, als ein Austausch über die Begleitungen in persönlichen Treffen nicht möglich war. Es ist der essenzielle Kern der Arbeit, dicht bei den Menschen zu sein, ihnen damit Halt und Vertrauen, Sicherheit und Verlässlichkeit zu geben. Hospizarbeit lebt durch Nähe und Berührung. Mit dem Newsletter versucht der Hospizdienst, diese Nähe zu vermitteln. Da er gut ankam, hat das Team ihn beibehalten. Inzwischen ist eine Sammlung von Geschichten entstanden, von denen hier eine kleine Auswahl zusammengestellt ist.

Jeden Monat veröffentlichten wir eine weitere Geschichte aus dem Ehrenamt als Audiodatei und Text. Darin wird von aktuellen Erlebnissen in den Begleitungen berichtet. Mal traurig und nachdenklich, mal fröhlich und lustig – wie das Leben eben auch.

Wenn Sie Interesse an der ehrenamtlichen Mitarbeit haben, dann melden Sie sich gern bei unserem Ambulanten Hospizteam.

Astrid

veröffentlicht März 2025
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Meine Begleitung mit Astrid war herzerwärmend und gleich freundschaftlich, obwohl ich das immer vermeiden wollte. Astrid wurde 76 Jahre alt und hatte diversen Krebs. Sie bekam oft sehr schlecht Luft, freute sich aber immer über mein Kommen und unsere Gespräche. Sie wurde lange therapiert und suchte ein stationäres Hospiz in ihrem geliebten Zehlendorf. Astrid hatte keine Familie oder soziale Kontakte. Es gab nur einen guten Freund, der sie aber letztendlich betrogen und ausgenutzt hat.

Das Leben wurde ihr unerträglich. Sechs Jahre verbrachte sie in völliger Einsamkeit, zurückgezogen in ihrer Häuslichkeit. Astrid betete als gläubige katholische Christin zu ihrem Gott und bat ihn, “ hol mich hier raus, ich ertrage das Leben in Einsamkeit nicht mehr. “ Als der Krebs dann kam, ruderte sie zurück und bat “ den da oben „, so Astrid, “ nee, nee, so schnell war das aber nicht gemeint. Der ließ aber nicht mit sich verhandeln. “

Darüber mussten wir beide lachen. Auf mich machte Astrid nicht den Eindruck einer todkranken Frau. Sie hat geholfen, wo sie konnte, erzählte mir eine Nachbarin. “ Krank wie sie war, hätte ich nachts geklingelt und um Hilfe gebeten, sie wäre sofort für mich dagewesen.“ Sie war ein ganz besonderer Mensch.

Bei meinem ersten Besuch auf der Palliativstation (Station 9) in der DRK Klinik Berlin Mitte stellten wir viele Gemeinsamkeiten fest. Wir sind beide in Berlin Lichterfelde groß geworden, sind sogar in dieselbe Grundschule gegangen. Astrid war sieben Jahre älter, deshalb sind wir uns dort nie begegnet. Unser Kennenlernen wurde begleitet von vielen Lachern und einer besonderen Herzlichkeit. Vielleicht war uns beiden schnell klar, viel Zeit würde uns nicht bleiben.

Sie erzählte mir, dass sie sich eine Baumbestattung wünscht, was aus ihrer finanziellen Sicht aber nicht möglich sei. Außerdem, so meinte sie, werde sie wohl mal irgendwo ganz alleine ohne Trauergemeinde verscharrt. Diesen Trauerzahn habe ich ihr gleich wieder gezogen, “ da kannst Du aber sicher sein, ich werde auf jeden Fall dabei sein und bringe auch noch ein paar Freunde mit „. Mut habe ich ihr auch gemacht, indem ich ihr Möglichkeiten aufgezeigt habe, wie sie sich ihren Baumbestattungswunsch erfüllen könnte. Bei meinen Vorschlägen zu den Baumbestattern interessierte sie besonders Eric Wrede von lebensnah. Sie wollte Eric kennenlernen und bat mich, einen Termin mit ihm zu vereinbaren, bei dem ich dabei sein sollte. Den vereinbarten Termin musste ich wieder känzeln, da sie überraschend die Möglichkeit bekam, an diesem Tag ins Wunsch Hospiz nach Zehlendorf zu wechseln. Da ich eine Seminarwoche außerhalb Berlins wahrnehmen musste, verabredete Eric Wrede einen neuen Termin ohne mich.

Ich hatte dann nur noch telefonischen Kontakt zu Astrid. Auf meine Frage, wie es ihr im Hospiz gefällt, brach es aus ihr heraus, sie sei ganz traurig, sagte sie. Das Hospiz am Wannsee sei geschlossen, es werde gerade für lange Zeit restauriert. Sie sei nun in einer Zweigstelle in der Stadt untergekommen, wo es ihr, der Naturverbundenen, gar nicht gefällt. “ Christiane, ich weiß genau, wenn Du dabei gewesen wärst, Du hättest mich hier nicht einziehen lassen“, meinte sie. Meine Worte, dass ich gemeinsam mit ihr überlege, wie wir das Problem nach meiner Rückkehr angehen können, machten ihr wieder Mut.

Am nächsten Tag rief mich Alice an und teilte mir mit, dass Astrid verstorben sei. Ich war fassungslos. Es war doch anders verabredet. Sie konnte doch nicht einfach gehen, wir hatten noch so viel vor! Alice bat mich, im Hospiz in Zehlendorf anzurufen, denn dort war ich als einzige Kontaktperson hinterlegt. Ein ungehaltener Hospizmitarbeiter fragte mich bei meinem Anruf, warum ich mich erst jetzt melde. Man hätte Astrid hergerichtet und auf mein Kommen gewartet. Auch darauf, welches Bestattungsunternehmen beauftragt werden sollte. Ich erklärte dem Mann, dass ich nicht in Berlin bin und Eric Wrede für diesen Tag einen Termin mit Astrid vereinbart hatte. Der Hospizmitarbeiter sagte, der Leichnam muss in die Kühlung, man könne nicht länger warten, und er werde ein Beerdigungsinstitut für eine Sozialbestattung beauftragen. Auf meine Bitte, kurz mit Eric Wrede Rücksprache nehmen zu dürfen, gewährte er mir wenige Minuten.

Einer der Glücksfälle, was Eric Wrede betrifft, ich bekam ihn sofort ans Telefon. Auf meinen Bericht, dass Astrid sich so sehr eine Baumbestattung gewünscht hat. Dass sie nun eine Sozialbestattung bekommen soll, weil ich mich gerade nicht um sie kümmern kann, da ich nicht in Berlin bin, veranlasste ihn, Verantwortung zu übernehmen. “ Ich fahre jetzt nach Zehlendorf und hole den Leichnam ab! “ Meinen Einwand, dass Astrid mittellos ist und lebensnah die Kosten für eine Bestattung ggf. nicht voll erstattet bekommen wird, beeindruckte ihn nicht. „Wissen Sie was, Frau Worm, über Kosten reden wir jetzt gar nicht, das machen wir, wenn Sie wieder in Berlin sind. Eins verspreche ich Ihnen, wir werden einen Weg finden. “ Voller Dankbarkeit für diesen Mann und sein Tun habe ich Astrid zugezwinkert und “ siehste! “ geflüstert.

Gemeinsam mit Eric Wrede haben wir Überlegungen angestellt, wie wir eine würdevolle Beerdigung für die mittellose Astrid hinbekommen. So richtig passte erstmal nichts. Aber dann, ein Geistesblitz, sprach er von der Reerdigung. Davon hatte ich im Seminar zur Hospiz Vorbereitung gehört. Die Reerdigung ist eine alternative Bestattungsform. Der tote Körper wird in einem sargähnlichen Kokon auf pflanzliche Materialien (Grünschnitt und Stroh) gebettet. Durch die körpereigenen Mikroorganismen und den pflanzlichen Materialien wird der Körper innerhalb von 40 Tagen zu Erde. Diese Methode, die in ähnlicher Form in den USA als »Terramation«, »Natural Organic Reduction« oder als »Human-Kompostierung« bekannt ist, ist eine neue Alternative zu den herkömmlichen Bestattungsarten und ermöglicht es, nach dem Tod wieder Teil des natürlichen Kreislaufs zu werden.

Dazu habe ich einen schriftlichen Auftrag an lebensnah erteilt. Eric war es wichtig, dass dieser Auftrag einen Passus enthält, wonach ich nicht zur Kostenübernahme verpflichtet bin. Sollte ich keine Geldgeber durch Befragung der Nachbarn finden, würde eine Stiftung die Kosten übernehmen, so sagte Eric Wrede mir das. Er hat Astrids Wunsch zur Baumbestattung und damit auch mich ganz wunderbar unterstützt. Am 18.09.24 wurde Astrid für die Reerdigung in den Kokon auf Stroh und Blumen gebettet. Dazu fand eine Zeremonie auf dem Domfriedhof in der Liesenstraße statt, die durch einen katholischen Pfarrer begleitet wurde. Astrid hätte die Anwesenheit des Pfarrers sehr gefreut. Der Duft des frischen Strohs und der Blumen in der Kapelle war so passend und tröstlich für die naturverbundene Astrid, dadurch war ich ihr nochmal ganz nahe. Es war auch ganz wunderbar, dass Astrid durch diese besondere Form der Bestattung zum Mittelpunkt wurde, das hätte ihr gefallen. Auch, dass viele Menschen dieser Zeremonie beiwohnten, und dass sie es damit in einen Bericht des RBB “ Mein Tag “ geschafft hatte.

Wie oft sagte sie in unseren Gesprächen, “ niemand interessiert sich für mich.“ Astrid musste in ihrem Kokon nach Schleswig-Holstein überführt werden, weil dieser Prozess in Berlin nicht durchgeführt werden darf. Nach deutlich mehr als 40 Tagen musste Astrid am 29.01.25 beigesetzt werden. Da sich die Berliner Politik nicht bewegt und dem zunehmenden Wunsch einer Reerdigung nicht nachkommt, fand Eric Wrede einen kleinen Friedhof in Mecklenburg-Vorpommern, der die Möglichkeit bietet Astrids Erde beizusetzen. Es wurde keine Baumbestattung. Ihre Erde liegt unter einem Baum mit Blick auf einen See. Eine Schule grenzt an den Friedhof. In den Pausen, so erzählte mir Wiebke Hollersen von der Berliner Zeitung, hört man das Lachen und die Stimmen der Kinder.

“ Endlich Leben in der Bude „, so würde Astrid sagen. Sie hatte sich so sehr Kontakte und Gemeinschaft gewünscht. Ich selbst konnte bei der Beisetzung nicht dabei sein.

In Gedanken war ich bei ihr, mit Ludwig Hirsch – Komm großer schwarzer Vogel https://youtu.be/NaiWa7QbRsU?si=2BqylOw-fb49Be3N

Bitte vergesst mich nicht!

Liebe Astrid, nun erscheinst Du auch in unserem Newsletter.

 

Ein letzter Gruß von Christiane

Meine wenigen Treffen mit Herrn D.

veröffentlicht Februar 2025
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Herr D., 62 Jahre alt, war in einer Pflege WG untergebracht. Sowas kannte ich vorher nicht und war überrascht, wie gut das funktioniert. Nur 12 Patienten, zwar eng zusammen, aber dafür immer eine Pflegekraft in der Nähe. Sein Zimmer war neben der Küche, also im Zentrum des Geschehens.

Er wollte aber möglichst wenig Kontakt. Seine Krankheit, MS, war schon weit fortgeschritten und er wollte auch das Rauchen nicht aufgeben, trotz Lungenkrebs, der kürzlich festgestellt wurde. Er wusste, dass es zu spät war für eine Besserung. Die Luft im Zimmer war entsprechend. Das erste Treffen war nur ein kurzes Beschnuppern und er wollte, dass ich wiederkomme.

Das nächste Treffen war etwas länger; er erzählte von seinem Leben als Bauarbeiter, eines von fünf Kindern, zu Hause in Kreuzberg und Rudow, zwei Brüder waren schon an Krebs gestorben ein anderer hatte COPD. Er lebte allein in einer Gartenlaube, die er sich ausgebaut hatte, arbeitete viel und machte am liebsten mit seinem großen Motorrad Touren durch Deutschland.

Ein früher kräftiger und schwerer Mann. Als die Krankheit ausbrach, war er bald zu schwach für Arbeit und Motorrad. Jetzt konnte er nicht mehr aufstehen, seine Beine waren ganz dünn. Er lag im Bett und sah den ganzen Tag TV, lesen konnte er wegen der Augen nicht.

Ich habe im Netz nachgelesen, was MS im Endstadium bedeutet, und war etwas vorbereitet. Eigentlich traf alles auf Ihn zu.

Beim dritten Besuch war er zu müde, da bin ich nur kurz geblieben.

Der nächste Besuch, ein Montag zwei Tage später, war dann ganz anders. Die Pflegerin hat mich vorgewarnt. Es ging ihm nicht gut, er konnte nicht essen. Trinken wollte er, aber die Tasse hat er kaum hoch zum Mund bekommen und dann flog die aus seiner krampfenden Hand. Er sprach kaum verständlich, sagte das es in einer Ecke laut raschelt und er schwarze Schatten sieht. Dann sagte er ziemlich klar „is et dat jetzt..?“ Ich fragte, was er meint, „dat Sterben!“. Ich fragte, ob er Angst vor dem Tod hat. „Nein“ war die klare Antwort. Ich wollte da noch nachhaken, oder besser gesagt drauf eingehen, aber er fiel wieder in einen Dämmerzustand, konnte kaum die Augen aufhalten. Ich habe mich verabschiedet, noch einmal Faust an Faust, wie er es gut fand und wollte Donnerstag wieder kommen.

In der Nacht zu Mittwoch ist er dann gestorben. Eine Pflegerin war die Nacht über bei ihm.

Guter Kaffee

veröffentlicht Januar 2025
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Wir erhielten im ambulanten Hospizdienst eine Anfrage aus dem Helmut-Böttcher-Haus. Herr K., ein älterer Herr mit schwerer Krebserkrankung, der nach einem Sturz zu Hause ins Krankenhaus kam und von dort direkt ins Helmut-Böttcher-Haus ziehen musste. Er berichtete mir bei meinem ersten Besuch, dass er keine Angehörigen habe und nur noch zwei lebende Freunde, welche selbst nicht mehr mobil seien und mit ihrer Gesundheit zu kämpfen haben. Den gesetzlichen Betreuer habe er noch nie gesehen.

Er erzählte mir von seinem zu Hause und was er dort alles vermisst. Nach seinem Krankenhausaufenthalt nicht mehr nach Hause zu können, war für ihn ein ziemlicher Schlag. Er berichtete auch, dass der Kaffee in der Einrichtung praktisch ungenießbar sei und er zu Hause noch eine frische Packung Kaffee zu liegen hätte. Bei meinem nächsten Besuch brachte ich Herrn K. frischen Kaffee mit, den ich im Thermobecher meines Mannes aufbewahrte.

Er freute sich sehr darüber. An diesem Tag ging es Herrn K. nicht besonders gut und er konnte noch nicht aufstehen, wollte den Kaffee aber später in Ruhe trinken. Wir unterhielten uns eine Weile, doch er wurde schnell müde und schlief ein. Davor bat er mich, ihm beim nächsten Mal eine Flasche Selter und zwei Glückwunsch-karten mitzubringen. Einige Tage später traf ich wieder im Helmut-Böttcher-Haus ein, Selter und Karten im Gepäck. Herr K. war am Tag zuvor verstorben. Kein unerwarteter Tod und trotzdem überkam mich Traurigkeit. Wir mochten uns und haben die wenigen Besuche, die ich bei ihm machen konnte, sehr genossen. Als ich die Schwester fragte, ob sie meinen Kaffeebecher beim Zimmer räumen gesehen habe, verneinte sie. Sie erzählte aber, dass Herr K. sich sehr über den Kaffee gefreut habe und ihn richtig gut fand. Das ist ein schöner Trost.

Kaffee! Schon schön, wenn man sich überlegt, wie leicht es manchmal sein kann, Menschen am Lebensende noch etwas Gutes zu tun.

Die Literaturagent:innen

von Astrid Heinrichs-Otte (Ehrenamtliche seit 2002), veröffentlicht Dezember 2024
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Mal wieder ein Besuch auf der Palliativ Station.

Von der Patientin weiß ich nur, dass sie vor lauter Luftnot kaum sprechen kann und erst 50 Jahre alt ist. Wer erwartet mich? Eine Frau, die ganz klar um ihr Ende weiß – und eine große Leserin war. Und mich bittet, Ingeborg Bachmanns Gedichte vorzulesen. Oh! Risiko. Nichts kann ein Gedicht so verderben wie  „falsches“ Vorlesen. Aber es geht gut. Wir sind beide tief berührt von Trauer und Tod, die bei Bachmann mitschwingen.

Als ich Frau G. das nächste Mal besuche, kann sie etwas leichter atmen. Ich soll wieder vorlesen. Was? – Ach, aus meiner U-Bahn Lektüre. (Ich hatte erzählt, dass ich ohne Buch nicht aus dem Haus gehe.) – Es ist aber in Englisch? – Trotzdem. Wir stellen fest, dass wir beide diese Sprache und Literatur lieben. Sie notiert meinen Autor, empfiehlt ihrerseits eine schottische Schriftstellerin. „Was!!! „, rufe ich, „die kenne ich gut!“

Kurz bevor ich gehe, erfährt Frau G., dass sie ins Hospiz verlegt wird. „Endlich“ sagt sie, “ Der letzte Schritt.“ Ich verspreche ihr, beim Besuch dort ein Buch unserer Autorin mitzubringen  – aber dazu kommt es nicht mehr.

Die letzten Worte am Telefon, die sie kaum noch hauchen kann, sind: „Zumindest haben wir den Anfang einer wunderbaren Freundschaft erleben dürfen.“

Ja, das haben wir! Und ihre Buchempfehlung habe ich schon bestellt….